09.07.2025
Eine versehentlich versandter, bereits unterzeichneter Urteilsentwurf mit einem voll formulierten Tenor kann aus Sicht einer Partei berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit einer Richterin erwecken. Mit dieser Begründung gab das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main einem Ablehnungsgesuch statt. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) berichtet.
In einem Rechtsstreit über ein Gartengrundstück hatte die Einzelrichterin des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main laut BRAK bereits einen Verkündungstermin anberaumt. Im Nachgang hätten die Verfahrensbeteiligten jedoch nicht – wie angekündigt – einen Beschluss mit neuer Terminbestimmung erhalten, sondern einen signierten Urteilsentwurf. Dieser habe bereits ein vollständig ausgearbeitetes Rubrum sowie einen Hauptsachetenor enthalten, der die beklagten Parteien zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks verpflichtete. Auch die Kosten des Rechtsstreits seien im Entwurf den Beklagten auferlegt worden. Tatbestand und Entscheidungsgründe seien lediglich fragmentarisch ausgeführt gewesen. Später habe die Richterin darauf hingewiesen, dass die Übersendung versehentlich erfolgt und das Dokument als gegenstandslos zu behandeln sei. Der Vertreter einer der beklagten Parteien habe die Ablehnung der Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit beantragt. Das LG habe den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde habe das OLG Frankfurt am Main die Entscheidung des LG abgeändert: Die Besorgnis der Befangenheit sei objektiv nachvollziehbar begründet worden.
Entscheidend sei, so das OLG laut BRAK, dass durch die versehentliche Übersendung des Urteilsentwurfs mit bereits ausgearbeitetem und unterzeichnetem Tenor aus Sicht einer vernünftig urteilenden Partei berechtigter Anlass bestanden habe, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln. Der Eindruck, die Richterin habe sich bereits abschließend festgelegt und das weitere Verfahren diene nur noch der nachträglichen Begründung des Ergebnisses, sei geeignet, Misstrauen gegen ihre Amtsführung zu rechtfertigen.
Dass es sich bei dem übermittelten Dokument lediglich um einen internen Entwurf ohne Rechtswirkung gehandelt habe und die Erstellung solcher Entwürfe nicht unüblich sei, ändere daran nichts. Das gelte umso mehr, als die Richterin im konkreten Fall als Einzelrichterin tätig gewesen sei, sodass dem Entwurf nicht die Funktion eines kammerinternen Vorschlags habe zukommen können. Auch der Umstand, dass die Verantwortung für die fehlerhafte Versendung mutmaßlich bei der Geschäftsstelle lag, sei unbeachtlich. Maßgeblich sei allein der objektive Eindruck, den der Inhalt und die Form der übermittelten Unterlagen bei der betroffenen Partei hinterließen.
Bundesrechtsanwaltskammer, PM vom 08.07.2025 zu Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 04.06.2025, 9 W 13/25